Traditionelles Bogenschießen
Mit dem traditionellen Bogenschießen ist das so eine Sache. Alle reden darüber, aber genau weiß niemand, was es damit auf sich hat: Schießt man traditionell, wenn man 600 Jahre alte Bögen benutzt – oder solche, die nach der gleichen Technik gebaut wurden? Reicht es, sich mittelalterlich zu kleiden und die Schießanweisungen auf altmittelhochdeutsch zu geben? Gibt es eine traditionelle Schießtechnik?
Gerade an der Frage der Schießtechnik scheiden sich die Geister und Experten. Wir wagen einen Definitionsversuch, angelehnt an Dietmar Vorderegger, Autor zahlreicher Bücher zum Thema, und unserer eigenen Erfahrung und Vereinspraxis.
Das traditionelle Bogenschießen, oder das, was wir heute als solches praktizieren, ist mit Abstand die jüngste Bogensportdisziplin. Ohne eine längere Erläuterung der Geschichte des Bogenbaus seit den Neanderthalern zu geben kann man sagen, dass sich Bogenbau und Schusstechnik im Lauf der Jahrtausende kontinuierlich entwickelt haben. Als Gipfel dieser Entwicklung können die heutigen Olympischen Recurve- und Compoundbögen gelten, die fast alle „Probleme“ des Bogenschießens ausgleichen: Sie besitzen Stabilisatoren, Visiere und ein Zugsystem, das die Kraftverteilung bei steigender Auszugslänge kompensiert. Die Wurfkraft und Präzision, die im 16. Jahrhundert nur ein sein Leben lang trainierter Bogenschütze erzielen konnte, kann so bei entsprechendem Training auch ein Amateur nach wenigen Jahren erreichen.
Parallel zu diesen technischen Verbesserungen entwickelte sich im späten 20. Jahrhundert eine Tradition, wieder „einfach“ Bogen zu schießen: Mit Holzbögen und -pfeilen nach dem Design der Englischen Langbögen, Reiterbögen oder Indianerwaffen, ohne Auflagen, vielleicht sogar selbstgebaut. Als Pioniere dieses Sports können Howard Hill und Fred Bear gelten. Nicht zuletzt mit dem Fantasyboom der 90er Jahre erlebte das traditionelle Bogenschießen einen Aufschwung, zahlreiche heute bestehende Vereine wie auch der Robin’s Kids e.V. wurde in dieser Zeit gegründet. Gleichzeitig hat sich aber auch das traditionelle Bogenschießen weiterentwickelt: Viele Langbögen sind heute mit Glasfaser verstärkt. Neben selbstgebauten Holzpfeilen mit eingesägten Nocken finden sich auf den Turnierplätzen Kunstfedern, Plastiknocken und Carbonschäfte.
Neben der Materialfrage ist die Schußtechnik ein Kriterium. Traditionelle Bogenschützen sagen oft, sie würden „intuitiv“ schießen, d.h. ohne Zielsystem. Tatsächlich zielt auch der traditionelle Bogenschütze, allerdings auf eine andere Weise: Pfeilflug, Wurfkraft und Technik sind so im Unterbewusstsein abgespeichert, dass er ohne äußere Zielvorrichtung auskommt. Trotzdem schätzt er die Entfernung und richtet den Bogen auf das Ziel aus, hat vielleicht sogar ein bestimmtes System dafür entwickelt.
Man muss sich das ein wenig wie bei einem Basketballer vorstellen: Wenn der vor dem Korb steht, holt er auch nicht das Maßband heraus und stellt das Visier ein. Trotzdem trifft er – intuitiv.